8 April 2023

Aus dem Schatten Russlands

Erschienen in: Wiener Zeitung, am 8.4.2023

Foto: ©pexels

Rund 200.000 Menschen leben im Großraum Stavanger. 50.000 davon arbeiten in Berufen, die direkt oder indirekt mit der Erdöl- und Erdgasindustrie in Verbindung stehen. Seit 50 Jahren ist die Stadt der alten Holzhäuser, die rund um den Fjord gebaut wurden, Norwegens Öl- und Gaszentrum. Im vergangenen Jahr weiteten die Skandinavier diese Rolle aus. Die Verknappung von russischem Gas, die Stavanger nun auch europaweit zu einer wichtigen Energiedrehscheibe macht, begann allerdings nicht erst im Februar 2022, sondern bereits im Jahr zuvor.

Im Jänner 2021, als Europa mitten in der Heizsaison steckte, reduzierte Russland die Gaslieferungen am ukrainisch-slowakischen Grenzübergang Velke-Kapuzany erstmals um zwei Drittel. Weitere Auffälligkeiten folgten Anfang Mai, als der russische Staatskonzern Gazprom seine Speicher in Deutschland und Österreich nicht wie üblich auffüllte, sondern leerlaufen ließ.

Im Herbst 2021 reduzierte Russland die Gasgeschäfte ein weiteres Mal. Nicht nur die Lieferungen über die Ukraine wurden weniger, auch in der Jamal-Pipeline, die Deutschland über Polen mit Russland verbinden, sanken die Mengen von 865 auf 520 Gigawattstunden (GWh) pro Tag. Knapp zwei Monate vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine drosselte Gazprom die Lieferungen ein weiteres Mal, über Polen nach Deutschland wurden sie sogar komplett gestoppt. Gegenüber dem Jahresbeginn 2021 kostete Erdgas plötzlich fast das Neunfache.