10 September 2023

Der globale Wettlauf um grüne Industriemilliarden

Erschienen in: profil, am 10.9.2023

Foto: © Julian Kern

Mehr als 20 Stationen mit der S-Bahn, anschließend 70 Stationen mit dem Bus und die letzten zehn Kilometer mit dem Uber: Die Fahrt ins Industriegebiet von Indiana Harbor ist beschwerlich. „You’re really going nowhere“, sagt der Fahrer kurz vor dem Ziel. Aber dort, im Nirgendwo von East Chicago, rund 40 Kilometer außerhalb der Hauptstadt des US-Bundesstaats Illinois, herrscht Vollbetrieb. Rund um die Uhr, sieben Tage pro Woche wird Stahl produziert. Die meisten Produktionshallen sind in blauer Farbe gestrichen – der Firmenfarbe von Cleveland-Cliffs, dem größten Flachstahlhersteller der Welt. Dazwischen befinden sich aber auch einige backsteinfarbige Bürogebäude – eines fungiert sogar als Betriebskrankenhaus. Zwischen den Gebäuden riecht es nach Teer, was alle Hinweise darauf erhärtet, dass hier energieintensiv produziert wird. Rund 5,5 Millionen Nettotonnen Stahl sind es, die jährlich im größten integrierten Stahlwerk Nordamerikas vom Band laufen. Die Hauptabnehmer sind die amerikanische Automobilindustrie, Hersteller von Haushaltsgeräten, das Baugewerbe und Rohrhersteller. Die energieintensive Stahlproduktion hat aber ein Problem, das dem Weltklima immer stärker zusetzt: ihre enormen CO2-Emissionen.


So ist die in Linz beheimatete Voestalpine allein für mehr als zehn Prozent aller CO2- und Treibhausgasemissionen in Österreich verantwortlich. Insgesamt – mit zahlreichen anderen Megawerken, wie jenem in East Chicago aber vor allem Fabriken in China – produziert die Industrie global rund ein Drittel aller klimaschädlichen Abgase. Ungefähr doppelt so viele, wie jährlich weltweit im Verkehr anfallen. In den USA soll sich das nun ändern, schließlich hat Präsident Joe Biden im Vorjahr ein millionenschweres Subventionspaket verabschiedet: den Inflation Reduction Act (IRA). Und von diesem soll künftig auch Cleveland-Cliffs profitieren.


Rund 360 Kilometer vom Stahlwerk in East Chicago entfernt, auf halber Strecke zwischen Cleveland und Detroit, wird derzeit ein Wasserstoff-Hub hochgefahren. „Im Rahmen des Demonstrationsprojekts haben wir die Nachfrage nach Wasserstoff in unserer Region ermittelt und im Jänner 2020 einen Workshop auf dem Campus veranstaltet“, sagt Frank Calzonetti, der Vizepräsident für Forschung an der Universität Toledo. „Wir haben dabei festgestellt, dass viele Unternehmen in unserer Region Wasserstoff erforschen wollen, um ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Und wir sind eine stark industrialisierte Region mit zwei Ölraffinerien, mehreren Stahlwerken, Gaskraftwerken und Glasunternehmen“, so der Energieexperte. Projekte wie jene in Toledo sollen die Wasserstoffproduktion aufgrund der Steuervergünstigungen von drei US-Dollar pro Kilogramm aus dem 433 Milliarden Dollar schweren IRA künftig kostengünstiger machen.