25 February 2024

Gas-Krise: Norwegen als großer Gewinner

Erschienen in: profil, am 24.2.2024

Foto: Julian Kern

Eine rote Backsteinmauer auf der einen Seite, eine Glasfassade auf der anderen. Es ist ein schlichtes Bürogebäude wie viele andere in Stavanger auch, in dem die norwegische Staatsholding Petoro ihren Firmensitz hat. Von hier aus wird der Betrieb von mehr als drei Dutzend der größten Erdöl- und Erdgasfelder Europas observiert und kontrolliert. Keine zehn Minuten Fußweg vom Bürogebäude entfernt liegen „Island Crusader“, „Sygna Tide“ und „Havilla Clipper“ vor Anker. Die Schiffe unterstützen die Erdöl- und Erdgasplattformen entlang der norwegischen Küste mit Material, Werkzeug und Personal. Sie sind maßgeblich für den Betrieb der Bohrinseln verantwortlich. Und somit auch dafür, dass sich die Einnahmen aus dem norwegischen Gasexport seit Kriegsbeginn in der Ukraine fast versiebenfacht haben.

334 Milliarden Kronen (circa 30 Milliarden Euro; Anm.) und somit rund ein Drittel aller Einnahmen aus dem Verkauf von norwegischem Gas im Jahr 2022 sind kriegsbedingt zustande gekommen. So steht es in einer Studie der Norwegian School of Economics aus dem Vorjahr. Ein Jahr, in dem Norwegen seine fossile Energieproduktion deutlich gesteigert hat. Zwar liegen noch keine Bilanzen aus 2023 vor, Anders Opedal, Chef des größten norwegischen Energieunternehmens Equinor, gab vor wenigen Wochen allerdings Einblicke in die noch unveröffentlichten Zahlen: „Im Jahr 2023 haben wir weiterhin zur Energiesicherheit in Europa beigetragen und ein Produktionswachstum von 2,1 Prozent erzielt“, so Opedal. Geht es also nach dem Vorstandsvorsitzenden des größten Arbeitgebers des Landes, ist die Rolle Norwegens klar: Eine sichere Bank in puncto Energieversorgung Europas. Norwegen als weißer Ritter und Kriegsprofiteur zugleich?

In Oslo trifft profil den Chefökonomen von Offshore Norge, Marius Menth Andersen. Er weiß über die Tätigkeiten der 27 Firmen, die am norwegischen Kontinentalschelf ihren Geschäften nachgehen, bestens Bescheid. Andersen hat sich vorbereitet. Mit einer PowerPoint-Präsentation versucht er die Entwicklungen des nun wichtigsten Erdgaslieferanten Europas einzuordnen. „Wir waren uns unserer Rolle als Energielieferant für Europa schon immer bewusst, sie ist nur in letzter Zeit sehr wichtig geworden“, sagt Andersen, den Blick auf eine Grafik des Brüsseler Wirtschafts-Thinktank Bruegel gerichtet: „Von 25 auf 30 Prozent Erd- und Flüssiggas, das heute aus Norwegen nach Europa kommt.“

Massiv erhöht hat Norwegen seine Gasproduktion seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 also nicht. „Das geht auch gar nicht in so kurzer Zeit“, sagt der Ökonom. Kurzfristig kann man die Produktion allerdings schon etwas steigern. „Wenn man ein Feld hat, das Öl und Gas beherbergt, muss man das Gas wieder einleiten, um den Druck in der Lagerstätte zu erhöhen, damit Öl gefördert werden kann. Wenn man kurzfristig mehr Gas entnimmt, bedeutet das, dass man langfristig weniger Öl gewinnen kann. Das ist ein wirtschaftlicher Kompromiss, den man abwägen muss.“ In Norwegen hat man diesen abgewogen – zugunsten der Gasproduktion. Auch weil der Marktpreis dafür in bisher ungekannte Sphären ausgeschlagen hat: So lag der Spotpreis an der niederländischen Erdgasbörse TTF zu Beginn des Jahres 2022 noch bei rund 85 Euro pro Megawattstunde (MWh). Nach weiteren russischen Gasdrosselungen und Wartungsarbeiten der Nordstream-Pipelines im August erreichte er dann ein Allzeithoch von über 310 Euro/MWh Erdgas. Die Folge: Erdgas war knapp, der Preis hoch – und die Norweger kassierten.

Norwegen und die OMV

Ein weiterer Profiteur befindet sich nur knapp zehn Kilometer von der Petoro-Firmenzentrale entfernt: die norwegische Niederlassung der OMV. Im Jahr 2005 wurde die OMV (Norge) AS im norwegischen Firmenbuch eingetragen, 2008 übersiedelte die Firma dann in das moderne Industrieviertel Hinna Park im Süden von Stavanger. „Unser Ziel war, Norwegen als Kernregion aufzubauen, da wir zu dieser Zeit das Ölgeschäft in Libyen verloren haben. Das war seit den 1960er-Jahren der Gewinnbringer der OMV. Im Zuge des Bürgerkrieges 2011 war dort dann aber endgültig Schluss“, sagt Gerhard Roiss. Von 2001 bis 2011 war er Vorstandsmitglied der teilstaatlichen OMV, von 2011 bis 2015 leitete er das Unternehmen. In Norwegen sah man damals Potenzial: stabile politische Verhältnisse und die Chance, die schon damals bekannte hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren. „Im Jahr 2014 lautete meine Langfriststrategie: Ein Drittel des Gases aus Russland und Österreich, ein Drittel aus Rumänien (Neptun-Projekt; Anm.) und ein Drittel aus Norwegen“, so Roiss.